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Muss ich tanzen können?

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Ich bewundere alle musikalischen Menschen, die über die Tanzflächen dieser Welt schweben. Ruft der DJ mich auf die Tanzfläche, kriege ich Schweißausbrüche.

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Sie liefen entspannt neben mir her, meine drei Lauffreunde, und schwärmten und schwärmten. Nein, nicht von ihrem letzten Laufwettbewerb, die drei waren am Wochenende auf einer Hochzeit gewesen und hatten getanzt, was die Beine hergaben. Ich lief stumm nebenher, es klang wie Musik, als sie von ihren wöchentlichen Tanzabenden erzählten. Ich glaube, sie hüpften sogar im Takt über die Baumwurzeln und atmeten im Takt, während ich stapfte und stapfte.

Tanzen, wie sollte ich mitreden können, wo ich doch von Kindesbeinen an stets von Oma und Opa zu hören bekam „Schröers sind unmusikalisch. Ihr könnt nicht tanzen und singen schon gar nicht.“ Das Klavier bei uns im Flur ein reiner Staubfänger. Und Opa erzählte vor jedem Festball in Dauerschleife „Ihr müsst nur an der Theke schnacken können, das reicht.“

Selbst die pädagogische Tante winkte nur ab. Sie hätte früher einmal pro Woche ans Klavier gemusst und nichts hätte es gebracht. Zum Tanzkurs sollten wir dann doch – gehörte sich ja so, aber am Morgen danach erzählte meine Mutter von den lästernden Mädchen auf der Damentoilette, wie fürchterlich der Schröer doch tanzt.

„Ihr müsst nur an der Theke schnacken können, das reicht.“

Ich bewundere alle musikalischen Menschen, die über die Tanzflächen dieser Welt schweben, an Gitarren zupfen oder verstehen, was Bass, Tenor oder Sopran ist, während ich, sobald der DJ auf der Firmenweihnachtsfeier auf die Tanzfläche ruft, Schweißausbrüche bekomme. Ich weiß, für meine weibliche Schar an Mitarbeiterinnen ist es ein Genuss, den Chef in ihre Mitte zu ziehen und zu sehen, wie er dann irgendwelche zuckenden Bewegungen macht.

Ja, sie dürfen es auch filmen und teilen, wenn er sich einmal im Jahr in Grund und Boden blamiert. Gerne würde ich wie mein Schwimmfreund Albert auf dem Stoppelmarkt bei Pickers auf dem Tisch drei astreine Moves hinlegen, die das Internet später zigfach bejubelt.

"Solange die Finger an einer Hand nicht gleich lang sind, kann man immer noch dazulernen"

In Kauf nähme ich gern, wenn mein Nachwuchs mich dann – wie bei Albert am kommenden Tag – ernsthaft zur Rede stellt, weil das in meinem Alter unglaublich peinlich sei. Wird aber wohl nicht passieren, genauso wenig, wie ich die Massen mit Karaoke begeistern könnte –Opa schüttelt im Himmel bestimmt mit dem Kopf. Nur eines macht mich seit ein paar Tagen stutzig. Laut einer Studie sollen nur 4 Prozent aller Menschen unmusikalisch sein. Gehöre ich wirklich zu dieser besonderen Spezies von Menschen? Oder hat meine Familie sich einfach geirrt?

Schließlich hat Opa zu Lebzeiten immer gesagt, solange die Finger an einer Hand nicht gleich lang sind, kann man immer noch dazulernen. Mit 62 Jahren könnte ich jetzt doch mal endlich so richtig gegen meinen ganzen Stammbaum bocken und heimlich üben. Erstmal alleine vorm PC, da gibt es bestimmt eine Anleitung im Internet, aber die Rollos lass' ich vorher lieber runter.


Zur Person:

  • Der Autor Antonius Schröer führt mehrere Modehäuser.
  • Der 62-Jährige verkörpert das Vechtaer Original „Straßenfeger“ im Karneval.
  • Den Autor erreichen über redaktion@om-medien.de.

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