Die Demokratie abschaffen und hin zu einer Gesundheitsdiktatur, inklusive einer totalen Überwachung: In dem Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh gehört genau dieses Szenario zur Normalität. Das von der Landesbühne Niedersachsen Nord präsentierte Stück unterhielt nicht nur, sondern regte die Gäste im Cloppenburger Kulturbahnhof vor allem zum Nachdenken an.
In äußerst überspitzter Form zeigt „Corpus Delicti“ dem Publikum auf, wohin ein staatlicher Kontrollierungs- und Regulierungszwang führen kann. In einem Staat, der seine Bürger durch ständige Überwachung und Kontrolle zu einer gesunden Lebensweise zwingt. Der Staat setzt alles daran, dass seine Bürger gesund bleiben. Jeder, der gegen die Regeln verstößt, wird je nach der Schwere der Tat bestraft. Falls nötig, werden Täter sogar eingefroren – was quasi einer Todesstrafe gleich kommt.
Gesundheitsvorsorge ist totalitäre Pflicht
Die Hauptfigur in dem Stück ist Mia Holl (gespielt von Hannah Sieh), eine 34-jährige Naturwissenschaftlerin. Anfangs eine vorbildliche und gesetzestreue Bürgerin, wandelt sie sich im Laufe der Zeit zu einer Gegnerin der neuen herrschenden Ideologie. Grund dafür ist die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau, für deren Tod ihr Bruder Moritz (Wiktor Grduszak) verantwortlich gemacht wird. Moritz selbst streitet alles ab, wird jedoch aufgrund einer DNA-Analyse verurteilt, obwohl er seine Unschuld beteuert. Daraufhin erhängt sich Moritz in seiner Zelle. Doch für Ruhe und Trauer ist kein Platz in einer Gesellschaft, in der Gesundheitsvorsorge zur totalitären Pflicht geworden ist.
Mia glaubt fest an seine Unschuld und fängt an zu recherchieren. Sie hat begriffen, nur für sich selbst zu handeln und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Dann erinnert sie sich an eine Krankheit ihres Bruders in jungen Jahren, bei der eine Knochenmarkspende durchgeführt wurde. Für sie steht fest, dass auch der damalige Spender der Täter sein könnte, schließlich hat ihr Bruder nach der Spende die DNA des Spenders übernommen. Nun hat sie einen Ansatzpunkt und beginnt damit, das System zu hinterfragen.
Mia wird selbst zu einem Fall für die Justiz
Dabei wird sie völlig aus der Bahn geworfen und zweifelt auch an der Unschuld ihres Bruders. Sie beginnt damit, sich selbst zu vernachlässigen, fängt an zu rauchen, desinfiziert sich nicht mehr und isst ungesund. Somit wird sie selbst zu einem Fall für die Justiz, die ihr eine Gefährdung des Gemeinwohls unterstellt.
So findet sich Mia plötzlich in einem Schauprozess wieder, bei dem sie erkennen muss, dass sie längst zu einem Bauernopfer von Staat und Ideologie verkommen ist. Es folgt ein regelrechter Kampf mit Heinrich Kramer (Stefan Faupel), einem fanatischen Vertreter des Staatssystems. Kramer, ein typischer Fiesling, benutzt Mias Aussagen, um sie so zu konstruieren, dass Moritz und sie in den Augen der Öffentlichkeit als Verschwörer gelten.
Mit einem von ihm verfassten Geständnis, welches Mia sich weigert zu unterschreiben, versucht er, ihr damit endgültig den Todesstoß zu versetzen. Es folgen Gerichtsprozesse, bei denen die Strafe immer höher gesetzt wird. Am Ende droht Mia das Einfrieren auf unbekannte Zeit, da ihr terroristische Akte, Gefährdung des Staatsfriedens und der Missbrauch toxischer Substanzen vorgeworfen werden.